Ein Beitrag von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Berlin und Essen.
6. Möglichkeiten in der Berufungsinstanz bei unzureichendem Vortrag in der ersten Instanz
Immer spätestens im Rahmen der Berufungsbegründung sollte versucht werden, den in der ersten Instanz unterlassenen Tatsachenvortrag nachzuliefern.
Problem: § 531 Zivilprozessordnung lässt den neuen Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz nur sehr eingeschränkt unter bestimmten Voraussetzungen zu. In der Berufungsbegründung muss darauf ausdrücklich Bezug genommen werden und dargelegt werden, warum dieser Vortrag in der Berufungsinstanz noch zulässig ist.
§ 531 Zivilprozessordnung
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
1. einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2. infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3. im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Nr. 1: regelmäßig irrelevant, da in einem solchen Fall auch 2. gegeben ist.
Nr. 2: Verfahrensmängel sind auch unterlassene Hinweise des erstinstanzlichen Gerichts. Diese Regelung ist daher der beste Ansatz.
Rechtliche Hinweise müssen unter Berücksichtigung der konkreten Situation der Parteien in der Weise erteilt werden, dass es den Parteien auch tatsächlich möglich ist, Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis ausüben und sie nicht daran gehindert sind, ihren Sachvortag rechtzeitig zu ergänzen (BVerfG, 29. Mai 1991, 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188).
Reicht eine Partei aufgrund eines nicht rechtzeitig erteilten Hinweises des Berufungsgerichts einen nicht nachgelassenen Schriftsatz ein, so muss das Berufungsgericht den darin enthaltenen neuen Sachvortrag berücksichtigen und die mündliche Verhandlung wiedereröffnen, wenn sich der Parteivortrag als entscheidungserheblich darstellt. Anderenfalls liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs vor. Dies gilt auch dann, wenn die Partei auf den erst in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis nicht in der angemessenen Weise reagiert, dass sie nach § 139 Abs. 5 ZPO eine Schriftsatzfrist beantragt, weil ihr eine sofortige Erklärung zu dem gerichtlichen Hinweis nicht möglich ist. Die durch § 139 Abs. 5 ZPO eröffnete Befugnis der von einem verspäteten Hinweis des Gerichts überraschten Partei, sich weiteren Vortrag vorzubehalten, führt nicht dazu, dass eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG zu verneinen wäre (BGH, Beschluss vom 04. Juli 2013 – V ZR 151/12 -, juris).
Ist im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen oder eine Partei als beweisfällig angesehen worden, ohne dass ihr durch einen nach der Prozesslage gebotenen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war, so stellt sich die Zurückweisung des neuen, nunmehr substantiierten Vortrags oder neuer Beweismittel im Berufungsrechtszug als eine offenkundig unrichtige Anwendung des § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dar. Ein solches Vorgehen des Gerichts kommt einer Verhinderung des Vortrags zu entscheidungserheblichen Punkten gleich und stellt daher einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs i.S.d. Art. 103 Abs. 1 GG dar (BGH, Beschluss vom 07. März 2013 – I ZR 43/12 -, juris).
Nr. 3: Tatsachen, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung bekannt geworden sind, können immer in der Berufungsinstanz eingeführt werden, da die unterbliebene Einführung in der ersten Instanz nicht auf der Nachlässigkeit der Partei beruht. Allerdings muss dann auch zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der neuen Tatsachen vorgetragen werden.
Ein Beitrag von Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Alexander Bredereck, Berlin und Essen
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