Über den Boom der Erlebnisbäder. Ein Gespräch mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo, der über Wasserrutschen geforscht hat.

Sacha Szabo – Unterhaltungswissenschaftler

Bald ist Sommerzeit und Schwimmbadsaison. Immer mehr Bäder locken mit riesigen Wasserbahnen und übertreffen sich. Mal geht es fast senkrecht in die Tiefe, mal mit Booten durch riesige Bahnen, oder sogar Loopings gibt es. Wir sprachen mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo vom Institut für Theoriekultur, der einen Aufsatz über dieses Phänomen veröffentlichte und wissen muss, warum diese Anlagen so gefragt sind.

Warum sind Wasserrutschen auf einmal so beliebt?
Sacha Szabo: Dies hat mit einem veränderten Angebot der Schwimmbäder zu tun. Wenn man die öffentlichen Schwimmbäder, die in den siebziger und achtziger Jahren populär waren betrachtet, dann hatten diese rechteckige Becken einen Sprungturm und vielleicht eine Rutsche im Kinderbecken. Sie waren vor allem auf Funktionalität angelegt. Wirklich schön waren nur manche. Wir bemerken nun seit den neunziger Jahren eine zunehmende Erlebnissuche in den unterschiedlichsten Bereichen. Erlebnisgastronomie, Erlebnisreise, ja sogar Erlebnispädagogik. Gerhard Schulz fasste dies unter dem Phänomen der Erlebnisgesellschaft zusammen. Menschen suchen in Abgrenzung zu ihrem Alltag ein außeralltägliches Erlebnis. Dies ist auch ein Grund, dass ein Markt für Erlebnisbäder entstand.

Lassen Sie uns über Wasserrutschen sprechen, warum sind Rutschen so beliebt?
Sacha Szabo: Rutschen hat etwas mit dem kindlichen Spiel zu tun. Es ist auch ein unnützes Tun, es bringt nichts ein, außer Spaß. Damit hebt sich diese Tätigkeit von unserem normalen, auf Nutzen angelegtes, Handeln ab. Das Rutschen ist zudem auch ein außeralltägliches Erlebnis. Wenn man rutscht, dann vergisst man für einen kurzen Moment den Alltag.

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Das müssen Sie bitte erklären.
Sacha Szabo: Der Mensch ist als eines der wenigen Wesen mit einem Bewusstsein ausgestattet. Er kann sich reflektieren. Dies führt aber auch dazu, dass er um seine Verletzlichkeit, um Krankheiten und natürlich um seine Sterblichkeit weiß. Diese Gedanken sind bedrückend, dazu kommen häufig noch alltägliche Sorgen. Geld, Familie, Job. Der Mensch sucht nun Situationen auf, in denen er diese Sorgen vergessen kann und dafür gibt es innerhalb der menschlichen Kultur auch dafür vorgesehen Orte und auch Techniken. Ein Beispiel sind etwa die riesigen Maschinen auf den Jahrmärkten, Karussells und Achterbahnen . Und es klingt paradox, aber in dem Moment in dem ein Fahrgast vor Angst beinahe in die Hose macht, vergisst er seine Sterblichkeit, auf jeden fall vergisst er seine alltäglichen Sorgen. Diese Aufwertung des Moments über das Medium Körper findet auch in den Wasserrutschen statt. Der Mensch wird in einen Zustand versetzt, in dem er sich ganz der Fahrt hingibt und an nichts anderes denken kann. Das ist es, was so Spaß macht.

Da spielen aber auch Hormone eine Rolle.
Sacha Szabo: Ja, natürlich werden auch Hormone ausgeschüttet. Gerne spricht man ja von den Glückshormonen wie Endorphin, Serotonin und ähnlichen. Diese scheinen ein angenehmes Gefühl hervorzurufen. Wobei der Stoffwechsel weitaus komplexer ist und es erklärt eben nicht warum man riesige Anlagen baut, wo man diesen Kick auch bekommen könnte wenn man mit geschlossenen Augen über eine Autobahn läuft. Ich denke es hat mehr mit einer Erlebnisgegenwart zu tun, die als entlastend wahrgenommen wird. Und wenn dieses Setting stimmt, dann kommen auch die Hormone ins Spiel. Aber sie sind nicht der Grund weswegen man solche Tätigkeiten unternimmt.

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Die Anlagen werden immer spektakulärer.
Sacha Szabo: Natürlich stehen die verschiedenen Betreiber untereinander in Konkurrenz und jeder versucht mit einer besonderen Attraktion den Mitbewerber auszustechen. Dabei gibt es zwei Grundformen der Rutschen. Einmal welche die hohe Geschwindigkeiten versprechen und andere die eine aufregende Fahrt ermöglichen. Bei den ersten geht es fast senkrecht hinab. Im Siam-Park auf Teneriffa führt die Strecke sogar in einer geschlossenen Röhre durch ein Haifischbecken. Dann gibt es auch die Rutschen mit vielen Kurven, mit geschlossenen Röhren. Dann mit offenen oder transparenten Bereichen, hier wird eher der Orientierungssinn verwirrt.

Ist so eine Fahrt nicht auch eine Mutprobe?
Sacha Szabo: Ja, ganz eindeutig. Eine Mutprobe hat ja nicht nur damit zu tun, etwas Gefährliches zu tun, sondern sie besteht aus viel mehr. Es gibt eine Vorbereitungsphase, ich gehe den Turm zur Bahn hinauf und stelle mich an. Dann gibt es die eigentliche Fahrt und dann das Ankommen im Wasserbecken. Diese Choreographie zeigt, wie man eine neue Phase im Leben betreten kann. Man bereitet sich vor, zieht sein Ding durch und hat die Aufgabe gemeistert. Dies ist im Übrigen auch ein Grund, weswegen die Anlagen immer spektakulärer werden. Nach ein paar Fahrten ist der Fahrgast kompetent und es stellt keine Überwindung mehr dar, also sucht er eine neue Herausforderung.

Was ist mit den vielen Wettbewerben?
Sacha Szabo: Nun, heutzutage wird alles gerne unter einem agonistischen, unter einem Wettbewerbs-Aspekt betrachtet. Ich finde es viel spannender, wenn man einmal eine Wasserrutsche symbolisch betrachtet. Man ist in einer Röhre, gleitet durch diese Röhre ans Tageslicht und landet in einem Wasserbecken. Es ist eine Art zur Welt kommen. Natürlich kann man dies auch psychoanalytisch deuten. Aber die Deutung bleibt die gleiche. Es ist eine Art symbolischer Geburtsakt.
Herr Szabo, vielen Dank für das Gespräch.

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