Neues Miteinander von Industrie und Zivilgesellschaft

Ideologischer Mauerfall als Problemlöser

Ekkehard Seegers

Von Ekkehard Seegers*

“Streit ist ein Wesensmerkmal der Demokratie. Und das ist auch gut so.” Diese und ähnliche Äußerungen liest und hört man in den vergangenen Wochen seit der Bundestagswahl vermehrt. Vor der Wahl sei zu wenig gestritten worden, nach der Wahl zu viel. Die Sondierungsverhandlungen sind wegen der Unvereinbarkeit von Positionen gescheitert. Dies, obwohl der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eine sachliche Streitkultur angemahnt hat. Was bleibt: Insbesondere über den Streit wird gestritten.

Es ist eine Binsenweisheit, dass eine Demokratie in Ordnung ist, wenn die Medien frei arbeiten und die Menschen sich über die Regierung streiten dürfen. Aber können wir mit Streiten wirklich die großen Probleme dieser Welt lösen? Beseitigen wir damit den Hunger in der Welt? Verhelfen wir der Energiewende zum Erfolg? Retten wir damit das Klima? Die Antwort lautet ja. Aber nur, wenn der Streit in das Ziel einer optimalen Lösung einzahlt; wenn es um das Ringen um die beste Alternative geht. Die Antwort lautet nein, wenn es nur darum geht, ideologische Mauern zu zementieren. Denn dann wäre der Streit zum Selbstzweck verkommen, zur Zeitverschwendung.

Als Beispiel sei hier das Nebeneinander von Industrie und Zivilgesellschaft genannt. Das Verhältnis von Zivilgesellschaft – also Umweltorganisationen, Kirchen und andere gesellschaftlich relevante Gruppen – auf der einen Seite sowie Wirtschaft und Industrie auf der anderen ist seit vielen Jahren von einer “Miss-Kommunikation” gekennzeichnet. Sie kommt zum Ausdruck in gegenseitigem Misstrauen und in einer Art der Auseinandersetzung, die nicht nur inhaltlich motiviert, sondern vor allem ideologisch geprägt ist. Zweifellos gibt es auf beiden Seiten hoffnungsvolle Ansätze dies zu ändern, aber die Gräben sind tief und es bedarf beiderseitiger Anstrengungen, diese zuzuschütten.

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Dabei sind beide Seiten wertvolle Teile unserer Gesellschaft und haben ihr viel zu bieten. Beispielhaft sei hier eines der wohl größten Probleme unserer Zeit genannt, das im Spannungsfeld von Industrie und Zivilgesellschaft angesiedelt ist, der Klimawandel:

Umweltorganisationen und andere zivilgesellschaftliche Gruppen verstehen sich exzellent auf die Folgenabschätzung des Klimawandels und haben Kompetenzen im Hinblick auf alternative Lösungen und alternative Energien. Die Industrie kann mit innovativen Produkten – wie Dämmstoffen oder leichten Kunststoffen – erheblich zur Energieeinsparung beitragen. Da müssten doch Kompromisse möglich sein, und zwar zum Wohle des Klimas und der Menschen. Sind sie auch, wenn da nicht diese gewachsenen ideologischen Barrieren wären. Auf Misstrauen basierende Kommunikation und ideologischer Streit kosten die Zeit, die zur Lösung dieser Probleme so dringend gebraucht wird.

Wie könnte ein Ausweg aus diesem kommunikativen Dilemma aussehen? Ideologische Mauern müssen fallen, gegenseitiges Vertrauen muss her, um gemeinsam Lösungen zu formulieren. Einfacher gesagt als getan, aber beide Seiten können dazu beitragen:

– Die Zivilgesellschaft sollte erkennen und akzeptieren, dass auch die Industrie ihre Daseinsberechtigung hat; dass sie ist nicht Teil des Problems, sondern auch und vor allem Teil der Lösung ist. Folglich ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit Industrie-Vertretern kein Zeichen der Kapitulation, im Gegenteil.

– Die Industrie sollte ebenfalls offen sein für die Argumente der Zivilgesellschaft, sie ernst nehmen und sich ehrlich mit ihnen auseinandersetzen. Und auch wenn ökologische Forderungen im Raum stehen, die unter Umständen nicht kompatibel sind mit industriellen Zielen: Hinweise auf eine mögliche Gefahr für bestehende Arbeitsplätze, wie sie in Einzelfällen geäußert werden, sind einer vernünftigen Lösung meist nicht dienlich.

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Kommunikation zwischen Industrie und Zivilgesellschaft sollte daher auf beiden Seiten zur Chefsache werden. Repräsentanten aus beiden Bereichen sollten sich als Partner auf Augenhöhe akzeptieren. Mit anderen Worten: Der Fall ideologischer Mauern in den Köpfen wäre zumindest ein Anfang, ein Fundament, auf dem sich Vertrauen aufbauen ließe. Und das ist ja bekanntlich der Anfang von allem.

Ein Modellprojekt für einen vielversprechenden Weg dorthin ist der KlimaDiskurs.NRW. Der politisch unabhängige gemeinnützige Verein verfolgt das Ziel, den Klimaschutz in NRW bei gleichzeitiger Stärkung des Industriestandortes zu fördern – durch gemeinsames Handeln der zentralen Akteure:

Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Unternehmen, Politik. Der KlimaDiskurs.NRW bietet somit eine Plattform, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Gegensätzliche Auffassungen und Interessen innerhalb der Mitglieder sind kein Hindernis, im Gegenteil: Um gemeinsames Handeln zu ermöglichen, werden Gegensätze thematisiert. Sie sind damit Grundlage für Gespräche untereinander – und bilden so die Basis für Verständnis und Respekt. Inzwischen hat KlimaDiskurs.NRW mehr als 60 Mitglieder aus allen genannten Bereichen, darunter auch international operierende Unternehmen.

Und wie sieht die Praxis aus? Im Vorstand des Gremiums sitzen z.B. Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Umweltorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen Seite an Seite mit Vertreterinnen und Vertretern von Chemieunternehmen. Und streiten die sich jetzt die ganze Zeit? Das kommt vor, ist aber nicht die Regel. Auch in solchen Konstellationen spielt die Beziehungsebene eine wichtige Rolle: Da finden sich plötzlich Menschen sympathisch, von denen man dies aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen gar nicht erwartet hätte. Die Folge: Es wächst Vertrauen, wenn erst mal die ideologischen Barrieren gefallen sind. Das ist der Stoff, aus dem die Lösung der großen Probleme gemacht wird!

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Bei allem Optimismus: Die Väter und Macher des KlimaDiskurs.NRW haben (noch) kein Allheilmittel für die Realisierung der Energiewende in einem Industrieland gefunden. Sie stehen schließlich noch ganz am Anfang eines Prozesses. Aber Zuversicht ist erlaubt: Denn hier wird der Streit als Wesensmerkmal der Demokratie gepflegt, ohne ideologische Mauern. Im Sinne einer Lösung betätigen sich alle Beteiligten als Brückenbauer, ohne sich selbst dabei aufzugeben. Geht doch!

*Ekkehard Seegers hat fast 10 Jahre die Public Affairs des Chemiepark-Managers und-Betreibers Currenta geleitet. Er ist jetzt Lehrbeauftragter für Public Affairs und als freier Berater, Trainer und Moderator tätig sowie Mitglied im Vorstand des KlimaDiskurs.NRW. www.seegers-consult.de

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