Wie die Zivilgerichte eine Rollstuhlfahrerin um ihren Schmerzensgeldanspruch bringen, die beim Parken auf einem Behindertenparkplatz verletzt wurde

Müssen Behindertenparkplätze barrierefrei sein? Und wieso sind Streiterinnen gegen die Benachteiligung von Behinderten selber schuld, wenn sie auf einem kopfsteingepflasterten Behindertenparkplatz einer Kommune stürzen und sich verletzen? Das Oberlandesgericht Schleswig hat ziemlich schnell gefasste und höchst überraschende Antworten auf beide Fragen parat – die geschädigte Rollstuhlfahrerin Angelika Mincke hofft, dass das Bundesverfassungsgericht diese Antworten als rechtswidrig beurteilen wird. Dafür braucht sie aber Unterstützung, denn schon jetzt waren die Gerichtsverfahren, die die Grundsicherungsempfängerin ohne Prozesskostenhilfe durchziehen musste, recht kostspielig. Unterstützung für die Prozesse ist auch deswegen sinnvoll, weil es um Rechtsfragen geht, die viele Menschen mit schweren Behinderungen betreffen: Müssen ausgewiesene Behindertenparkplätze barrierefrei sein? Sind Behinderte, die nicht barrierefreie Parkplätze nutzen, selbst schuld, wenn ihnen deswegen etwas zustößt? Dienen Behindertenparkplätze dem Grundrecht auf Mobilität, das unter anderem in der UN-Behindertenrechtsrechtskonvention festgeschrieben ist? Und kann es sein, dass die gegen Barrieren gerichteten Aktivitäten einer Behinderten am 9. Mai in einem Gerichtsverfahren gegen sie gewendet werden, weil sie damit ja schließlich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie die Gefährlichkeit von Barrieren kennt?
Es geht um die Nutzung eines Behindertenparkplatzes der Stadt Ratzeburg, der kopfsteingepflastert ist. Angelika Mincke parkte hier am 6. November 2009, weil sie in der nahegelegenen Drogerie noch etwas besorgen wollte. Es war bereits dunkel. Beim Umsetzen vom Fahrersitz in den Rollstuhl rutschten dessen Vorderräder weg, Frau Mincke stürzte und zog sich einen Bruch zu. Deswegen verklagte sie die Stadt Ratzeburg, weil diese ihrer Meinung nach dafür zu sorgen hat, dass ihre Behindertenparkplätze tatsächlich auch von Behinderten genutzt werden können.
Der Rechtsstreit entwickelte sich allerdings überraschend. Statt über die Verkehrssicherungspflichten der verklagten Kommune machten sich die Gerichte über ganz andere Fragen Gedanken. Das Landgericht Lübeck wies den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurück, weil es zu erkennen glaubte, dass die Antragstellerin durch die Nutzung des Parkplatzes bewusst ein Risiko eingegangen ist und damit die Risikobereitschaft der Klägerin deutlich schwerer wiegen würde als die eventuelle Pflichtverletzung der Stadt. Zudem bezweifelte das Gericht, dass die Antragstellerin überhaupt Schmerzensgeldansprüche geltend machen könnte, da sie “durch ihre Lähmung keine Schmerzen empfinden konnte. Die Nachteile einer mehrtägigen schmerzfreien Bettruhe wiegen jedoch für sich nicht so schwer, dass sie ein Schmerzensgeld rechtfertigen könnten.” (LG Lübeck vom 27. Januar 2012). Das Oberlandesgericht Schleswig bestätigte die Auffassung, dass der Stadt Ratzeburg nicht vorzuwerfen wäre, dass sie einen barrierereichen Behindertenparkplatz freigegeben hat: “Die Gefahr warnte ausreichend vor sich selbst.” (OLG Schleswig vom 22. März 2012).
Die geschädigte Rollstuhlfahrerin klagte also auf eigene Kosten – und unterlag in erster Instanz, weil sie nicht genau genug beschreiben konnte, wie ihre Rollstuhlvorderräder auf dem Kopfsteinpflaster abgeglitten waren.
Dagegen ging Angelika Mincke mit Hilfe der Kanzlei Menschen und Rechte in die Berufung – und erlebte einen bemerkenswert kurzen Rechtsstreit. Am 29. April 2013 war die Berufung begründet worden, mit Beschluss vom 6. Juni 2013 wies das OLG Schleswig sie ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurück. Dass das Gericht in der kurzen Zeit keine Gelegenheit hatte, sich mit den neuen rechtlichen Argumenten zu befassen, überrascht nicht. Stattdessen nahm es sich alte Tatsachen vor: Dass die Klägerin an den Vorbereitungen für den Protesttag am 9. Mai 2009 teilgenommen hatte, in dem es um Barrierefreiheit ging, reichte den Berufungsrichtern für ihre Entscheidung aus: ” Entscheidend ist, dass sie um die Ungeeignetheit von Kopfsteinpflaster als Belag für Behindertenparkplätze wusste und dass sich mit diesem Wissen die Gefährlichkeit dieses Belags für Aus- und Einstieg vom PKW zum Rollstuhl und zurück aufdrängen musste.” Selber schuld also – und Pech gehabt. Dass sich der verklagten Stadt die Gefährlichkeit des von ihr immerhin geschaffenen Parkplatzes auch hätte aufdrängen müssen, erscheint dem Oberlandesgericht dagegen unerheblich. Also bleibt der Behindertenparkplatz in Betrieb. Sollte dort jemals ein Nichtbehinderter parken, für den dieser Behindertenparkplatz zweifelsohne geeigneter ist als für Rollstuhlfahrer, wird ihn die Stadt Ratzeburg aber sicher sofort abschleppen. Denn, so unter anderem das Bundesverwaltungsgericht und die ständige Rechtsprechung zum Thema “Abschleppen von Behindertenparkplätzen”, nur durch ständiges Freihalten der Schwerbehindertenparkplätze kann sichergestellt werden, dass der betroffenen Nutzerkreis stets einen angemessenen Parkplatz findet.
Angelika Mincke legt jetzt mit der Kanzlei Menschen und Rechte Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts ein. Rechtanwalt Dr. Oliver Tolmein zu den Gründen: “Die Entscheidung des OLG Schleswig ist nicht mit dem Grundrecht auf Mobilität vereinbar und sie erscheint in ihrer Argumentation zum Thema Behindertenparkplätze willkürlich. Es kann nicht hingenommen werden, dass mit dieser Entscheidung Gemeinden einen Freibrief dafür erhalten, Behindertenparkplätze mit Barrieren zu errichten und den Behinderten, die sich dagegen wehren, vorgehalten wird, im Zweifelsfall seien sie zur Minimierung ihrer Risiken verpflichtet und dürften die Parkplätze halt nicht nutzen.”
Da Angelika Mincke Grundsicherungsempfängerin ist und die Kosten des Rechtsstreits schon erheblich waren, wird aufgerufen, das Verfahren durch Spenden zu unterstützen. Eventuelle Überschüsse werden an Kobinet-Nachrichten e.V. weitergeleitet oder in einen Fonds, mit dem weitere behindertenrechtlichen Verfahren unterstützt werden, in denen die bedürftigen Kläger aus willkürlich erscheinenden Gründen keine Prozesskostenhilfe erhalten.

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