Zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 10.11.2015, Aktenzeichen 2 Sa 235/15, ein Beitrag von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin und Essen.
Der Fall
Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Kündigung ausgesprochen, weil dieser Speck im Wert von 0,80 EUR gebraten und teilweise gegessen hatte. Dies sei eine erforderliche Probe gewesen, argumentierte der Arbeitnehmer. Nachdem er die Kündigung ausgesprochen hatte, erfuhr der Arbeitgeber von einem früheren Zwischenfall, in den der Arbeitnehmer verwickelt war. Dieser hatte nach den Feststellungen des Gerichts eine andere Mitarbeiterin sexuell belästigt, indem er in den Raum gekommen sei, die Tür geschlossen habe, die Mitarbeiterin umarmt und an die Wand gedrängt und dann mit seinen Armen ihren Rücken hinabgestrichen sei bis zu ihrem Po.
Die Ausgangslage
§ 626 Abs. 1 BGB sieht für den Arbeitgeber die Möglichkeit der fristlosen Kündigung vor, wenn so schwerwiegende Gründe vorliegen, dass es dem Kündigungsberechtigten unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ende der Kündigungsfrist fortzusetzen. Diese außerordentliche, fristlose Kündigung kann der Arbeitgeber nur innerhalb von zwei Wochen aussprechen, nachdem er von Gründen für die Kündigung erfahren hat. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur dann in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG vom 21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – juris). Voraussetzung ist, dass es dem Arbeitgeber auch nicht zumutbar ist, den Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.
Fallkonstellation hier problematisch
Das Problem im Fall vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Der Arbeitgeber konnte eine Kündigung wohl nicht allein auf den Vorfall mit dem Speck stützen. Dafür war das Verspeisen durch den Arbeitnehmer nicht gravierend genug. Im Hinblick auf den Vorwurf der sexuellen Belästigung hatte es aber keine Anhörung des Betriebsrats gegeben. Dem Arbeitgeber war der Vorfall zum Zeitpunkt der Kündigung ja auch gar nicht bekannt. Die maßgebliche Frage nun: Darf ein solcher zusätzlicher Kündigungsgrund dann im Kündigungsschutzverfahren nachgeschoben werden?
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein: fristlose Kündigung wirksam
Das Landesarbeitsgericht hält die fristlose Kündigung für wirksam. Spricht der Arbeitgeber innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB eine fristlose Kündigung aus, kann er im Rechtsstreit Gründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits vorlagen, nachschieben. Das kann auch dann in Betracht kommen, wenn der Vorfall – hier eine sexuelle Belästigung – schon fast ein Jahr zurücklag und die Mitarbeiterin ihrer Vorgesetzten mit der Bitte um Vertraulichkeit davon berichtet hat.
Bewertung der Entscheidung
Ich halte die Rechtsprechung für durchaus problematisch. Der Arbeitgeber kann so eine unwirksame Kündigung aussprechen und darauf spekulieren, dass sich die Belegschaft in der Folge vom gekündigten Arbeitnehmer distanziert und weitere Gründe für eine Kündigung auftauchen. Im vorliegenden Fall hätte man zumindest eine erneute Anhörung des Betriebsrats und eine neue Kündigung, dann gestützt auf sämtliche Vorwürfe, verlangen müssen.
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Die Fachanwälte für Arbeitsrecht Volker Dineiger und Alexander Bredereck sind die Autoren des Handbuchs “Arbeitsrecht” der Stiftung Warentest.
06.07.2016
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