Verfasserin: Rechtsanwältin Ingrid Heinlein, Anwaltsbüro Kanzlei Bell & Windirsch Britschgi & Koll Düsseldorf

Personalgespräch trotz Arbeitsunfähigkeit?

Rechtsanwältin Ingrid Heinlein, Anwaltsbüro Kanzlei Bell & Windirsch Britschgi & Koll Düsseldorf

Während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nur dann anweisen, zu einem Personalgespräch in den Betrieb zu kommen, wenn hierfür ein dringender betrieblicher Anlass besteht, der einen Aufschub der Weisung auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit nicht gestattet, und die persönliche Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb dringend erforderlich ist und ihm zugemutet werden kann.
BAG, Urteil vom 2. November 2016 – 10 AZR 596/15 –

Der Kläger war arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte lud ihn zu einem Gespräch ein “zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit”. Der Kläger sagte das Gespräch unter Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit ab. Nachdem er auch an einem weiteren Gesprächstermin unter Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit nicht teilnahm, erteilte die Beklagte ihm eine Abmahnung, deren Entfernung aus seiner Personalakte er mit seiner Klage begehrt hat. Wie schon das LAG hat auch das BAG entschieden, dass die Abmahnung unwirksam ist.

Das LAG hatte angenommen, die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen wollen, das der Zustimmung des Arbeitnehmers bedarf (§ 84 Abs. 2 SGB IX).

Dem ist das BAG nicht gefolgt, denn die Beklagte hatte vorgetragen, ihr sei es darum gegangen, mit dem Kläger über seine Weiterbeschäftigung zu sprechen. Da der Kläger dies nicht bestritten hatte und auch im Einladungsschreiben von einem betrieblichen Eingliederungsmanagement keine Rede war, ist das BAG davon ausgegangen, es sei der Beklagten tatsächlich darum gegangen, mit dem Kläger über seine Weiterbeschäftigung zu sprechen.

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Die entscheidende Rechtsfrage war damit, ob der Kläger trotz Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit verpflichtet war, der Weisung der Beklagten, an einem Gespräch über seine Weiterbeschäftigung teilzunehmen, zu folgen. Das BAG stellt zunächst klar, dass der Kläger nicht schon deshalb berechtigt war, der Weisung nicht nachzukommen, weil er arbeitsunfähig erkrankt war. Denn eine Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit führt lediglich dazu, dass der Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht (Hauptleistungspflicht) und unmittelbar damit zusammenhängenden Nebenpflichten, die allein den Interessen des Arbeitgebers dienen, befreit ist. Dagegen lässt die Arbeitsunfähigkeit andere Nebenpflichten des Arbeitnehmers, u.a. dessen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB), grundsätzlich unberührt. Deshalb berechtigt die Arbeitsunfähigkeit allein den Arbeitnehmer noch nicht, an Personalgesprächen während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit nicht teilzunehmen.

Die Lösung findet das BAG darin, dass sowohl den Arbeitnehmer als auch den Arbeitgeber Rücksichtnahmepflichten treffen. Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers begrenzt sein Recht, den Arbeitnehmer anzuweisen, während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu einem Personalgespräch im Betrieb zu erscheinen, denn es besteht die Gefahr, dass der Genesungsprozess durch solche Gespräche beeinträchtigt und die Arbeitsunfähigkeit verlängert wird. Deshalb, so die Schlussfolgerung des BAG, dürfen derartige Weisungen nur erteilt werden, wenn ein dringender betrieblicher Anlass vorliegt.

Als Beispielsfälle nennt das BAG, wenn

— der Arbeitnehmer über Informationen zu wichtigen betrieblichen Abläufen oder Vorgängen verfügt, ohne deren Weitergabe dem Arbeitgeber die Fortführung der Geschäfte erheblich erschwert oder unmöglich würde,

— der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über aktuell bevorstehende Änderungen des Arbeitsablaufs, die erheblichen Auswirkungen auf den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers haben, informieren und seine Meinung dazu einholen möchte,

— der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer über seine Bereitschaft sprechen will, eine neue Arbeitsaufgabe zu übernehmen, bevor die Stelle anderweitig besetzt wird.

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Darüber hinaus muss das Gespräch dem Arbeitnehmer zumutbar sein. Wenn es auf das Ende der Arbeitsunfähigkeit aufgeschoben werden kann, muss der Arbeitgeber das Ende der Arbeitsunfähigkeit abwarten. Zudem muss auch die persönliche Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb dringend erforderlich sein. Das ist nicht der Fall, wenn ein Schreiben oder eine E-Mail ausreichen.

Da die Beklagte nicht dargelegt hatte, dass ein dringender betrieblicher Anlass für die Erteilung der Weisung gegeben war und warum die Anwesenheit des Klägers im Betrieb erforderlich war, musste der Kläger ihr nicht Folge leisten, so dass die Abmahnung ungerechtfertigt war.

Fazit: Durch die Entscheidung wird das Recht des Arbeitgebers, während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ein Personalgespräch mit ihm zu führen, aufwendige Ausnahmefälle beschränkt. Dennoch ist auch dies nicht unproblematisch, weil die Gefahr besteht, dass auch die Erkrankung in dem Gespräch angesprochen wird. Darüber hinaus kann ein Arbeitnehmer ohne Rückfrage gar nicht beurteilen, ob ein “Ausnahmefall” vorliegt. Deshalb sollte der Arbeitnehmer den Betriebsrat einschalten und ggf. ein Betriebsratsmitglied zu dem Gespräch hinzuziehen (§§ 81 Abs. 4 S. 3, 82 Abs. 2 S. 2BetrVG). Keine Ausführungen enthält das Urteil dazu, wie konkret der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe für seine Weisung mitteilen muss. Wenn der Arbeitnehmerbettlägerig ist, ist er in keinem Fall verpflichtet, der Weisung nachzukommen. Eine weitere, wichtige Grenze liegt in der Zumutbarkeit, die insbesondere dann nicht vorliegen wird, wenn sich der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers durch das Gespräch verschlechtern würde.

Zuständig für Rückfragen: Ingrid Heinlein, Rechtsanwältin, heinlein@fachanwaeltinnen.de,Anwaltskanzlei Bell & Windirsch, Britschgi & Koll, Düsseldorf, www.fachanwaeltinnen.de

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