Ein Soziologe über die Ordnung von Sammlungen und deren entlastende Funktion

Sacha Szabo im Gespräch

Immer wenn eine Weltmeisterschaft, eine Bundesligasaison beginnt fängt seit Generationen von Kindern die Jagd nach den Klebebildern an, die dann in aufwendig gestaltete Hefte geklebt werden. Aber dieses scheinbar kindliche Vergnügen ist über alle Altersstufen beobachtbar. Seit Generationen sammeln Menschen Briefmarken und Münzen. Es gibt kaum etwas das nicht gesammelt wird. Felix Bobbermann hielt einmal fest, “wenn ich drei Dinge von einer Sorte habe, fange ich an zu sammeln.”. Warum sammeln Menschen so leidenschaftlich? Wir sprachen darüber mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo , der im Auftrag des Instituts für Theoriekultur Alltagsphänomene erforscht.

Warum sammeln Menschen?
Sacha Szabo: Natürlich ist es verlockend einen Sammeltrieb à la der Mensch als Jäger und Sammler anzunehmen. Der Unterschied zwischen dem Sammeln von Früchten und dem von Briefmarken ist aber ein entscheidender. Die Briefmarken werden nicht gegessen, sie werden auch nicht als Porto genutzt. Vielmehr werden sie dem Verwertungsprozess entzogen, das ist ein Merkmal des Sammelns. Es ist unproduktiv.

Aber viele Sammlungen sind ein Vermögen wert.
Sacha Szabo: Das ist der berühmte Sammlerwert. Ein Sammlungsgegenstand ist immer so viel wert wie jemand dafür zu bezahlen bereit ist. Deshalb gibt es auch häufig eine riesige Diskrepanz zwischen dem was eine Sammlung für den Sammler wert ist und was sie letztlich erlöst. Der Sammlerwert ist immer ein ideeller.

Warum sammeln dann Menschen.
Sacha Szabo: Zu jeder Zeit wurden Sammlungen unter einem anderen Gesichtspunkt angelegt. Im Mittelalter beispielweise gab es die Kuriositätenkabinette der Fürsten. Dort waren die unterschiedlichsten Dinge versammelt. Seltene Muscheln, antike Dinge, Kriegsbeute. Ein einziges Durcheinander das die Funktion hatte, die Gäste des Haus- oder besser Schlossherrn zu amüsieren und zugleich seine Macht zu repräsentieren. Mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften wurde wiederum anders gesammelt. Jetzt wurden Dinge gruppiert und zueinander in Beziehung gesetzt. Diese Art des Sammelns praktizieren wir im Großen und Ganzen auch aktuell noch.

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Das beantwortet nicht die Frage nach dem Warum.
Sacha Szabo: Eine Sammlung ist eine Ordnungsstruktur. Dinge der gleichen Art werden zueinander in eine als sinnvoll angesehene Beziehung gesetzt. Diese Vollständigkeit eines Ordnungssystems hat unter der Bedingung, von sich ständig wechselnden Umweltbedingungen, etwas Beruhigendes. Diese Kontemplation der Ordnung ist die Funktion einer Sammlung. Mit einer Sammlung kann jeder Sammler seine eigene Weltordnung bilden und aufrechterhalten. Nehmen wir beispielsweise eine Briefmarkensammlung. So bilden sich hier einerseits Zeitachsen, andererseits geographische Achsen und letztlich auch thematische Schwerpunkte. Dieser Vorgang des Kreierens einer Ordnung ist im Übrigen ein sehr intimer. Viele Sammlungen werden gar nicht gezeigt.

Wieso das?
Sacha Szabo: Die Sammlung gibt, so merkwürdig es klingt, Auskunft über die Befindlichkeit des Sammlers. Es steckt sprichwörtlich Herzblut darin. So erklärt sich auch, dass viele Sammler, wie Gollum, auf ihrem Schatz sitzen, ihn aber mit niemandem teilen wollen und dabei das riesige Expertenwissen das sie angehäuft haben, auch nicht preisgeben. Höchstens um jemanden zu korrigieren.

Was ist wenn eine Sammlung komplett ist?
Sacha Szabo: Nun grundsätzlich sollte eine Sammlung strukturell offen sein, das machte das Briefmarkensammeln so attraktiv. Es bildet eine Zeitlinie von der Vergangenheit bis in die Zukunft hinein. Wenn nun tatsächlich ein Sammelbereich komplett ist, dann kann man einerseits die Qualität der Exponate erhöhen oder ein neues Sammelgebiet eröffnen. Dies geschieht beispielsweise mit den beliebten Fußballsammelstickern. Es wird nicht nur jede WM und EM für sich gesammelt, sondern die Bände zueinander stellen auch eine Sammlung dar. Je umfangreicher diese Sammlung ist, desto größer ist auch die ausgewiesene Expertise des Sammlers.

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Sammeln Sie auch?
Sacha Szabo: Ich habe häufig angefangen zu sammeln, aber leider fehlte mir die Ausdauer eine Sammlung über Jahre zu verfolgen.

Herr Szabo, vielen Dank für das Gespräch.
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